Mein Körper, ein Korallenriff?
My Body, a Coral Reef?
innerhalb Deutschlands
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Wir Menschen begreifen uns als einzigartige Individuen mit speziellem Charakter und persönlichen Merkmalen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der gesteigerte Individualität als Erfolgsrezept gilt. Doch wer ist eigentlich dieses exklusive ICH? Neuere Forschungen definieren uns Menschen als Holobionten – biologische Kompositwesen. Wir leben schon immer mit vielen anderen Mikroorganismen in wechselseitiger Abhängigkeit zusammen. Bin ICH in mir bereits eigentlich ein WIR?
Das Ausstellungskonzept von Julia Katharina Thiemann basiert unter anderem auf der Radikalen Endosymbiontentheorie der US-amerikanischen Biologin Lynn Margulis (1938-2011), aus deren wegweisender Schrift Der symbiotische Planet von 1998 Textausschnitte in dieser Publikation wiederöffentlicht sind. Sind wir in uns also komplexe Ökosysteme, wie Korallenriffe? Die von Julia Katharina Thiemann kuratierte Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum mit anschließender Publikation zeigt ästhetische Reflexionen dieser Multispezies-Verbindungen anhand internationaler künstlerischer Positionen. Dabei werden naturwissenschaftliche, kulturwissenschaftliche und medizinische Aspekte nicht zuletzt mit soziologischen und politischen Fragestellungen unseres Zusammenlebens in den künstlerischen Arbeiten verknüpft, die Eingang in die Publikation finden.
Wenn wir Menschen als Symbionten nur in wechselseitiger Abhängigkeit mit anderen Spezies überlebensfähig sind, müssten wir dann nicht auch unser Selbst- und Weltbild grundlegend überdenken? In einem Exkurs legt der Soziologe Andreas Reckwitz dar, dass gerade auch die singularisierte und individualisierte Gesellschaft der Spätmoderne nur durch und innerhalb sozialer – oder: symbiotischer – Beziehungen und Gemeinschaften existiert und existieren kann. Die Publikation bietet nicht nur den Rahmen, um mit zeitgenössischer Kunst auf ästhetische Weise über unser Menschenbild zu spekulieren. Es ist auch ein ebenso interessantes wie gelungenes Beispiel eines komplexen Dialogs von Kunst und Wissenschaft.